Der Zebrastreifenmörder – #24Autoren mit Myna Kaltschnee

von | 17.12.2017 | 0 Kommentare

Als Edgar sein Auto putzt, begegnet ihm seine Nachbarin und verwickelt ihn in ein Gespräch. Wird sie hinter sein schmutziges Geheimnis kommen?

Der Zebrastreifenmörder

Edgar Wellsea kratzte getrockneten Vogelkot von der Windschutzscheibe seines roten Prius. „Verdammtes Federvieh“, fluchte er. Er musste heftig schrubben, doch schließlich gelang es ihm, den Kot zu entfernen. Er tauchte den karierten Lappen in seinen Putzeimer mit Seifenwasser und fuhr noch einmal über die Stelle, die er eben gereinigt hatte. Die Scheibe glänzte wie neu. Zufrieden wischte Edgar sich den Schweiß von der Stirn und rückte seine rote Basecap zurecht, die seinen kahlen Kopf vor der erbarmungslosen Sonne schützen sollte. Er wandte sich gerade der Motorhaube seines Wagens zu, als er eine weibliche Stimme hörte.

„Mr Wellsea, fleißig wie immer, nicht wahr?“
Edgar sah auf und blickte in das freundlich lächelnde Gesicht seiner Nachbarin. So ein Mist, was musste ausgerechnet die jetzt auftauchen? „Guten Tag, Mrs Bennett. Ja, mein Wagen hat dringend mal eine Reinigung nötig.“
„Wir fahren dazu immer durch die Waschstraße, unten bei Barney’s. Mein Mann würde sich nie dazu herunterlassen, den Wagen selbst zu putzen. Dazu ist er sich zu fein.“ Sie rollte die Augen und machte eine wegwerfende Handbewegung.
„Ich mag Waschstraßen nicht besonders.“ Edgar runzelte die Stirn. Dass er gute Gründe hatte, die öffentlichen Waschstraßen zu meiden, verschwieg er. „Ich mach’s lieber selbst, dann ist es wenigstens gründlich.“
„Das lobe ich mir!“
Edgar ließ den Lappen in kreisenden Bewegungen über die Motorhaube wandern.
„Eine schreckliche Hitze“, bemerkte Mrs Bennett, die das Gespräch offensichtlich am Leben halten wollte. „Wann wird es endlich wieder regnen?“
„Wenn man dem Wetterbericht glaubt, nicht so bald.“ Verdammt, geh weiter und lass mich in Ruhe putzen! Edgar wurde nervös. Hoffentlich bleibt sie wenigstens schön hinter dem Wagen stehen.
„Das ist überhaupt nicht gut. Die armen Bauern!“ Mrs Bennett seufzte. „Ihre Äcker sind furchige Wüsten. Sie kommen überhaupt nicht mehr nach mit dem Bewässern. Dabei ist das Wasser ja so knapp.“
„Ja, und alles wird teurer!“
„Wem sagen Sie das!“
Edgar konzentrierte sich auf die toten Fliegen, die auf seiner Motorhaube klebten. Er hoffte inständig, dass sie nichts bemerkte. Sie war eine Tratschtante und so etwas konnte er überhaupt nicht gebrauchen. Gleich würde sie die Waldbrände ansprechen, wetten?
„Ich frage mich, wann unser Nadelwald Feuer fängt. Das trockene Geäst brennt doch wie Zunder.“
„Ich behalte den Wald im Auge.“ Edgar ließ seinen Blick über die Bäume streifen, die die Stadt am Horizont umrahmten. „Ich habe schon meinen Notfallkoffer gepackt, falls wir evakuiert werden.“
„Das sollte ich vielleicht auch tun.“ Mrs Bennet schürzte die Lippen. „Man weiß ja nie! Übrigens, haben Sie mitbekommen? Die Kleine von den Whites hat ihr Studium geschmissen.“
„Ach wirklich?“
„Ja, sie engagiert sich jetzt für Greenpeace oder sowas. So ein dummes Mädchen! Hätte sie mal lieber ihr Studium zu Ende gemacht, dann …“
Edgar blendete Mrs Bennetts Stimme aus und tauchte seinen Lappen in das Seifenwasser. Es hatte sich mittlerweile schwarz verfärbt. Er verzog das Gesicht.
„Ich muss mal mein Wasser wechseln“, sagte er zu Mrs Bennett. „Mit dieser Dreckbrühe bekomme ich mein Auto nicht sauber.“ Er schüttete das Dreckwasser in das Rosenbeet vor dem Haus und verschwand dann mit seinem Eimer im Haus. Drinnen war es Dank der Klimaanlage angenehm kühl. Am liebsten wäre er gar nicht mehr nach draußen gegangen. Wenn es nicht so notwendig gewesen wäre, dass er seinen Wagen säuberte. Inständig hoffte er, dass seine Nachbarin dies als Anlass nehmen würde, weiterzugehen, doch als er mit frischem Putzwasser zurückkehrte, stand sie immer noch vor dem Haus. „Sie sind ja noch da“, bemerkte er.
„Ja, ich wollte unser nettes Gespräch nicht einfach so abbrechen.“
Nettes Gespräch, alles klar! In Edgar verkrampfte sich alles. Wie konnte er sie nur loswerden?
„Haben Sie von dem Amokfahrer gehört?“, schnitt sie schließlich ein neues Thema an.
„Ein Amokfahrer?“, wiederholte Edgar.
„Ja, das ist eine ganz grauslige Geschichte. Irgendein Verrückter fährt in unserem Ort Leute über den Haufen.“
„Ist nicht wahr!“ Edgars Augen weiteten sich. „In unserem Little Willow?“
„Ja, ich habe erst heute früh einen Artikel darüber gelesen. Sie nennen ihn den Zebrastreifenmörder, weil er Leute grundsätzlich am Zebrastreifen überfährt.“
„Was Sie nicht sagen“, antwortete Edgar sichtlich bestürzt.
„Ja, die Polizei rät, doppelt vorsichtig zu sein, wenn man einen Zebrastreifen überquert. Sie geht davon aus, dass der Mörder zunächst anhält, aber sobald sich der Passant in der Mitte der Straße befindet, gibt er Gas und überfährt ihn einfach. Schon drei Leute sind dabei gestorben und einer wurde schwer verletzt.“
„Wie hinterhältig!“ Edgar hielt einen Moment inne und nahm sein Basecap vom Kopf, um sich damit Luft zuzufächeln. Die Hitze war wirklich unerträglich.
Mrs Bennet wischte sich mit dem Handrücken eine Strähne aus der feuchten Stirn. „Das Schlimme daran, ist, dass es bisher keine Augenzeugen gab. Es wurden immer nur die Opfer auf dem Zebrastreifen gefunden. Niemand kann etwas zu der genauen Vorgehensweise oder dem Auto des Zebrastreifenmörders sagen.“
„Er ist schlau“, antwortete Edgar. „Das macht die Sache kompliziert. Ich hoffe, ihm unterläuft bald einmal ein Fehler.“
„Das hoffe ich auch.“ Mrs Bennet nickte. „Ich überquere Zebrastreifen grundsätzlich nur noch, wenn überhaupt kein Auto in Sicht ist.“
„Das ist gut.“ Edgar setzte sich seine Basecap wieder auf. „Damit sind Sie auf der sicheren Seite. Danke, dass Sie mich gewarnt haben.“
„Bitte, das tue ich doch immer gern.“ Mrs Bennett lächelte. Dann warf sie einen Blick auf ihre goldene Armbanduhr. „Wie doch die Zeit vergeht, wenn man sich nett unterhält. Ich muss weiter, mein Mann kommt bald nach Hause und dann muss das Essen auf dem Tisch stehen.“
Endlich, dachte Edgar. Ihm fiel ein Stein, nein, ein ganzes Himalaja vom Herzen. „Dann wünsche ich Ihnen noch einen schönen Tag!“
Die Frau nickte ihm dankend zu, dann verschwand sie.

Edgar ging in die Hocke, um die vordere Stoßstange zu erreichen. Dann schrubbte er über die dunkelroten Spritzer, die von der Hitze eingetrocknet waren, und pfiff dabei vergnügt eine Melodie.

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