Offener Brief an alle Schnellpublisher

von | 04.10.2018 | 1 Kommentar

Lieber Schnellpublisher,

du hast ein Buch geschrieben. Das ist toll. Um nicht zu sagen: Wunderbar!

Wie gut kennen wir alle die Situation: Wir nehmen uns endlich vor, eine Idee umzusetzen, die Geschichte niederzuschreiben und endlich am Ball zu bleiben. Statt die geplanten 200, 300, 400 oder gar mehr Seiten zu schreiben, brechen wir nach einer Zeit ab, weil wir nicht wissen, wie es richtig geht, oder weil die Disziplin fehlt. Das Leben kommt dazwischen, die Motivation hängt durch.

Umso stolzer kannst du sein, dass du es geschafft hast. Du hast den letzten Punkt gesetzt und dein Werk ist fertig. Eine Wahnsinns-Leistung. Du darfst dir auf die Schulter klopfen. Im Ernst, tu es. Lobe dich für deine Leistung und fühl dich gut, denn gleich kommt das Aber, und es wird dir nicht schmecken.

In unserer modernen Zeit braucht man kein Manuskript mehr drucken und an zig Verlage schicken. Man kann es einfach hochladen und veröffentlichen. KDP, tredition, epubli, neobooks, TWENTYSIX, Books on Demand. Es geht so einfach. Und du hast es gemacht.

Bevor ich zu meinem Anliegen dieses offenen Briefes komme, möchte ich kurz ein paar Worte zu mir sagen. Ich bin Kia und meine ersten Veröffentlichungen sind nach heutiger Sicht schändlich. War früher selbst ein Schnellpublisher. Heute lege ich Wert auf Qualität, bin auf sämtlichen Messen und LiteraturCamps anwesend und vernetze mich tagtäglich immer mehr mit der Buchbranche. Ich kann lektorieren und coachen, liebe Exposés, meistere meine Lesungen und komme immer wieder einen Schritt nach vorn. Das lesen auch viele Schnellpublisher, die auf meinen Blog kommen. Mich erreichen nicht mehr Dutzende, sondern inzwischen hunderte von E-Mails, in denen ich verschiedenste Dinge gefragt werde.

Unter anderem willst du wissen, wie du dein Buch vermarkten kannst. Oder ob es Verlage gibt, die ohne Druckkostenzuschuss arbeiten. Woher man ein Cover kriegt, und wer das Korrektorat macht. Kostenlos, natürlich. Denn Schreiben ist erstmal nur ein Hobby von dir, und wenn du mit deinem ersten Buch, das du von Word direkt hochgeladen hast, erstmal Geld verdienst, dann – ja, dann würdest du auch Geld für diese Leistungen ausgeben.

Ich kenne deine Bücher, lieber Schnellpublisher. Da ist Herzblut drin. In der Idee. Vielleicht auch im Plot. Die typischen Selfpublisher-Fehler, da kannst du nichts für. Und in der Rechtschreibung ist niemand 100 % perfekt. Wieso sollte einem Leser, der selbst der Rechtschreibung nicht vollends mächtig ist, deine Rechtschreibung stören?

Und Oberflächlichkeit ist ohnehin passé. Wer will schon nach dem Äußeren beurteilt werden? Die Cover von Bertold Brechts Werken als Reclam-Heft ist auch nicht überzeugend, und doch ist die Geschichte in aller Munde.

Und wenn du schon dabei bist, zitierst du Bertold Brecht einfach so. Er ist doch alt, tot, und sowieso darf jeder zitieren. Es heißt ja Zitatrecht und nicht Zitatverbot. Aus der Impressumspflicht hingegen machst du ein Impressumsrecht, das du auch vernachlässigen kannst.

Aber ich möchte dir etwas sagen, lieber Schnellpublisher. So einfach geht es nicht.

Bertold Brecht ist 1956 gestorben. Bis heute sind das noch keine 70 Jahre. Du musst dir Gedanken machen, wenn du Schmuckzitate anbringst und dich nicht inhaltlich mit ihnen auseinandersetzt.

Ein Impressum beinhaltet eine ladungsfähige Adresse. Viele Distributoren helfen dir. Tredition, Books on Demand – kein Problem, man kann es umgehen, dass deine Privatadresse im Buch steht.

Die Menschen sind oberflächlich, ja. Sie sind mehr als das: Sie sind wählerisch. Bei über 100.000 Neuerscheinungen im Jahr muss das Cover eine Aussage haben. Der Klappentext muss überzeugen. Das ist Marketing. Werbung.

Aber was willst du bewerben, lieber Schnellpublisher? Ein Werk ohne Lektorat – denn deine Mutter hat das Buch gut gefunden, verständlich.

Ich möchte dir eine Frage stellen. Würdest du dein eigenes Buch kaufen? Würdest du es lesen?

Deine Antwort lautet “nein”. Das weiß ich, weil du es nicht gelesen hast, nachdem du es veröffentlicht hast. Dir würden die Fehler förmlich ins Gesicht springen. Du würdest es im Buchregal mit anderen Büchern vergleichen, die ansprechender, aufregender, relevanter und schlichtweg schöner sind. Der Schreibstil eines Schnellpublishers unterscheidet sich von lektorierten Büchern. Ja, du kannst mir glauben.

In Großverlagswerken atmet niemand geräuschvoll ein, stellt danach die Tasche geräuschvoll neben den Tisch, um geräuschvoll im Tassenschrank zu wühlen.

In Großverlagswerken zeigt man nicht mit den Händen in eine Richtung, um sich mit der Hand am Kopf zu kratzen, dann mit den Händen im Rucksack zu wühlen, nur um mit den Händen seinen Weggefährten zu berühren.

In Großverlagswerken gibt es natürlich Fehler. Sogar viele. Wer, wenn nicht ich, beschwere mich über jeden das-dass-Fehler in Heyne- und Irisana-Büchern? Aber das Gesamtpaket stimmt. Die Selfpublisher-Floskeln sind raus. Aus der Mine wird die Miene, wenn man eine Grimasse schneidet, seid wird zu seit, wenn es der Zeitpunkt dafür ist, und das mit dem dass, das hat außer mir gefühlt eh niemand verstanden.

Darum geht es aber nicht. Du bist kein Großverlagsautor. Du machst das nur zum Hobby, und willst dich vorsichtig an die Buchszene heranwagen. Das ist vollkommen in Ordnung, lieber Schnellpublisher. Niemand schreibt dir vor, professionell sein zu müssen.

Aber warum muss dein Werk der Öffentlichkeit zugänglich sein? Und das dann auch noch für lau?

Warum bist du so wenig von dir überzeugt, dass du es dir nicht wert bist, zu lernen? Das Buch reifen zu lassen, zu überarbeiten, dir einen Lektor zu holen. Warum findest du dein eigenes Werk so scheiße, dass du ihm weder Coverdesign noch Buchsatz gönnst? Und warum muss es im gesamten Internet erhältlich sein?

Ich spiele gerne Klavier. Mein Klavier hat 700 € gekostet. Als ich umgezogen bin, war der Transport mühsam und kompliziert, und ich denke, an dieser Stelle auch mit gewissen Extra-Kosten verbunden. Die Klavierstunden haben 36 € die Stunde gekostet. Jede Woche. Vier Jahre lang. Meine Noten – oh, meine Noten. Ich habe so viele Noten, und ich kann nur einen Bruchteil davon spielen. Auch Noten kosten Geld. Ich habe 2.428 € ausgegeben allein für das Lernen, und jetzt spiele ich passabel Klavier. Für mich allein, in meiner Wohnung. Manchmal auch auf einer Hochzeit, wenn mich Freunde dazu einladen. Manchmal auch auf Instagram, um meine Vorführphobie zu überwinden.

Was machst du, lieber Schnellpublisher? Was sind deine Hobbys? Jemand, der gerne töpfert, verkauft auf dem Flohmarkt keinen Brei aus nassem Ton. Er geht vorher zu jemandem, der für ihn das Werk brennen kann. Erst dann ist der nasse Klumpen eine Vase. Ein Motocross-Rad kostet Geld. Ein Badminton-Schläger kostet Geld. Zum Sticken brauchst du Wolle, zum Sticken eine Nadel. Fitness-Studio, Malerei-Staffel, Tanzschule, Sprachkurs, Reitbeteiligung… Das alles kostet Geld. Und es sind nur Hobbys.

Ich verstehe dich nicht. Warum ist das Schreiben, das nur ein Hobby ist, keinen Cent deines Geldes wert? Und warum muss es dennoch professionell und öffentlich, gegen Geld erwerbbar, über die Bühne gehen?

Ich würde unter keinen Umständen mein Klavierspiel allen Menschen zugänglich machen. Dazu bin ich zu schlecht. Und es würde mir den Spaß nehmen, all die schlechten Meinungen zu erhalten, die im Vergleich zu all den studierten Profis gerechtfertigt ist.

Möchtest du dein Buch wirklich veröffentlichen, dann sei dir bewusst: Es heißt Selfpublisher. Nicht Schnellpublisher. Du veröffentlichst nicht nur dein Werk, sondern auch deinen Namen. “Self”. Sich selbst. Dein Name wird mit der Qualität deines Buches verbunden.

Willst du deinen Namen im Zusammenhang mit Ein-Stern-Rezensionen, schlechter Rechtschreibung, Plotholes, selbstgebastelten Amateuer-Buchcovern und mangelhaftem Buchsatz sehen?

Möchtest du nur zum Hobby schreiben, lieber Schnellpublisher? Dann bezahl den Badminton-Schläger. Lies das Sprachlehrbuch. Nimm Klavierunterricht.

Ist das zu viel Anspruch? Zu viel Druck? Dann lass’ es doch in der Schublade. Zeig es deinen Freunden, lies in der Dorfkneipe vor und freu dich über die Gespräche, die sich aus deiner Buchidee ergeben. Hab Spaß an deinem Hobby, halte es in kleinem Kreis und wer weiß, vielleicht entwickelst du dich weiter. Das muss aber nicht. Ganz nach deinem Tempo.

Du siehst, du hast alle Möglichkeiten der Welt.

Ich lade dich ein, das alles nochmal zu überdenken.

Es muss nicht schnell gehen.

Mach es langsam. Mit Liebe. Leidenschaft.

Mach Literatur.

Alles Liebe,

Kia



P.S.: Erfolg über Nacht kommt erst, wenn man jahrelang hart dafür gearbeitet hat.

1 Kommentar

  1. Florian

    Vielen Dank für die interessanten Gedanken.

    Ich gebe Dir recht, die vielen Möglichkeiten, die ein Autor heute hat, sind nicht nur ein Segen. Manch einem würde ein Lektorat sehr gut tun, oder zumindest ein Korrektorat.
    Das, was für Dich das “dass” ist, ist für mich die Leerstelle. Manchmal echt gruselig, nicht nur in Büchern, sondern auch überall online.

    Liebe Grüße
    Florian von Freelancer’s Tales

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