Ostfriesenflamme – #24Autoren mit Thorsten Siemens

von | 21.12.2017 | 0 Kommentare

Ein bedrohlicher, nächtlicher Schatten entpuppt sich als hilfesuchende, junge Frau. Ein vermeintliches Opfer wird zur tödlichen Gefahr.

Dies ist ein Auszug aus dem neuen Ostfrieslandkrimi von Thorsten Siemens, der Anfang 2018 erscheinen wird. (Der Text wurde noch nicht vom Verlag lektoriert).

Ostfriesenflamme (Arbeitstitel)

Amaru hob seinen Arm empor und richtete das spärliche Licht seiner Stirnlampe auf seine Armbanduhr. Dann aktivierte er den Countdown und lief los. Er hatte nur noch einen knappen Monat Zeit, um sich noch besser in Form zu bringen, als er es ohnehin schon war. Er war schon immer ein durchtrainierter, gutaussehender Mann gewesen. Mit seiner beeindruckenden Körpergröße von 1,90 Metern, seiner dunkelbraunen Haut und seinem strahlenden Lächeln hatte er großen Erfolg bei den hiesigen Ehefrauen, auf die zu Hause meist nur ein bierbäuchiger, blasser Langweiler wartete.

Amaru war noch nie auf der Suche nach einer festen Beziehung gewesen. Er suchte die Abwechslung, die Herausforderung, den Erfolg. Und seinem großen Erfolg bei den Frauen sollte nun endlich einmal wieder ein neuer sportlicher Erfolg folgen. Sein letzter Marathon lag bereits drei Jahre zurück. Doch einfach nur zu laufen, war ihm danach einfach nicht mehr genug Herausforderung gewesen. Darum sollte es bei diesem Mal ein Triathlon werden. Das Laufen lag ihm als Afrikaner schließlich im Blut. Aber zusätzlich auch noch Rad zu fahren und zu schwimmen, dass war schon eine echte Herausforderung. Zumal er zum damaligen Zeitpunkt, wie viele seiner Landsleute, noch überhaupt nicht schwimmen konnte.

Aber das konnte Amaru nicht aufhalten. Im Gegenteil. Es spornte ihn sogar noch mehr an. Es war zwar zunächst ein komisches Gefühl gewesen, ausschließlich mit Kindern im Vorschulalter in den Schwimmkurs zu gehen. Aber spätestens, als er zum ersten Mal die Leiterin des Schwimmkurses sah, war ihm dieser Umstand vollkommen egal. Er brauchte nicht lange, bis er die verheiratete Frau mit seinem Charme um den Finger gewickelt hatte. Danach traf er mit ihr ein ganz neues Arrangement. Sie gab ihm zukünftig privaten Schwimmunterricht, und er bezahlte sie dafür mit multiplen Orgasmen, von denen sie zuvor allenfalls etwas in ihren erotischen Romanen gelesen hatte.

Heute, drei Jahre später, schwamm er bereits passabel genug, um beim NordseeMan 2017 in Wilhelmshaven teilnehmen zu können. Zwar würde die Schwimmstrecke für ihn immer noch der schwierigste Part des Triathlons werden, aber den Rückstand, den er hier einkalkulieren musste, würde er spätestens auf der Laufstrecke wieder aufholen.

Amaru war schon immer ein Nachtmensch gewesen. Dies war auch einer der Gründe, warum sein zuständiger Sachbearbeiter beim Arbeitsamt ihn erst kürzlich wieder als unvermittelbar bezeichnet hatte. Er liebte es einfach, lange zu schlafen und brauchte in der Regel Stunden, um aus dem Bett zu kommen. Seine bisherigen Arbeitgeber hatten dafür allerdings kein Verständnis aufbringen können, so dass er nie eine Probezeit überstanden hatte. Amaru störte das jedoch nicht. Er brauchte nicht viel zum Leben. Er hatte ein Dach über dem Kopf und einen gut gefüllten Kühlschrank. Und wenn er mal etwas Luxus brauchte, spielte er halt für ein paar Wochen den Toyboy einer älteren, gutbetuchten Dame, die ihm hinterher dann seine Wünsche erfüllen musste, wenn sie verhindern wollte, dass die heimlich aufgenommenen Sexvideos bei ihrem beruflich erfolgreichen Ehemann auf den Schreibtisch landeten.

Amru trainierte gerne, wenn die Sonne längst untergegangen war. Denn das war die Zeit, in der sein Körper vor Kraft nur so strotzte. Es machte ihm auch nichts aus, in stockdunkler Nacht seine Trainingsrunden zu drehen. Um diese Zeit war er wenigstens vollkommen ungestört. Da er schon sehr lange in der Gemeinde Moormerland wohnte, gab es hier einfach schon zu viele gehörnte Ehemänner, denen er nicht unbedingt bei Tageslicht über den Weg laufen musste.

Als er den ersten Part seiner Laufrunde fast beendet hatte, sah er plötzlich einen Schatten aus der Dunkelheit auf ihn zustürzen. Erschrocken blieb Amaru stehen, machte zwei Schritte rückwärts und richtete den Lichtstrahl seiner Stirnlampe auf die Person, die ihm vom NermoorerBadestrand aus entgegengelaufen kam. Als er erkannte, dass es sich nur um eine zierliche Frau handelte, löste sich seine Anspannung sofort wieder.

Die junge Frau, die perfekt in Amarus Beuteschema passte, war vollkommen aufgelöst. Mit fuchtelnden Armbewegungen erklärte sie ihm, dass ihr Bruder von seinen Freunden zu einer Mutprobe überredet worden war. Obwohl er nicht schwimmen konnte, war er mit einer Luftmatratze zu der künstlichen Badeinsel gepaddelt, die sich mitten auf dem See befand. Seine vermeintlichen Freunde hatten ihn begleitet, um ihm im Notfall helfen zu können. Zumindest hatten sie das vorgegeben. Doch stattdessen hatten sie ihm, nachdem er die Badeinsel endlich erreicht hatte, die Luftmatratze abgenommen und waren mit höhnischem Gelächter zurück ans Ufer geschwommen. Die junge Frau flehte Amaru an, ihrem Bruder zu helfen. Auch sie hatte angeblich niemals Schwimmen gelernt.

Amaru überlegte kurz. Er war zwar ein ganz passabler Schwimmer geworden, aber war er wirklich gut genug, um einen Nichtschwimmer ans rettende Ufer zu schleppen. War das nicht viel zu gefährlich? Sollte er nicht lieber die Polizei oder besser noch die Feuerwehr rufen?

Während er noch nachdachte, schaute ihn die Frau, die ihm gerade einmal bis zur Brust reichte, die ganze Zeit über mit ihren großen, traurigen Augen an.

Wenn ich ihren Bruder rette, ist hier später vielleicht sogar noch etwas Matratzen-Sport drin, spekulierte Amaru. Der Gedanke an den hemmungslosen Sex mit dieser attraktiven Lotusblüte, ließ ihn alle Gefahren vergessen.

»Okay, ich hole ihn da runter«, sagte er, als wäre es nur eine Kleinigkeit für ihn.

Er ging mit ihr zum Strand hinunter, streifte sich sein T-Shirt vom Oberkörper, entledigte sich seiner Schuhe und der kurzen Sporthose. Als er schließlich nur noch seine Unterhose an hatte, drehte er sich noch einmal zu ihr um. Das Licht seiner Stirnlampe fiel genau auf ihr wunderschönes Gesicht.

»Kannst du das bitte mal halten?«

Amaru löste den Verschluss seiner Armbanduhr und reicht sie ihr. Dann streifte er sein Stirnband ab und setzte es stattdessen ihr auf. Er strafte seinen Oberkörper und spannte seine Muskeln an. Jetzt, da sie ihn, im Scheinwerferlicht seiner eigenen Lampe, quasi zum ersten Mal richtig sehen konnte, wollte er einen perfekten Eindruck hinterlassen.

»Bis gleich!«, sagte er, lächelte breit und zwinkerte ihr vielsagend zu.

Dann drehte er ihr den Rücken zu und watete in das kalte Wasser. Für den Triathlon hatte er sich extra einen Neoprenanzug gekauft, den er jetzt schmerzlich vermisste. Doch er wollte sich vor dem Objekt seiner Begierde keine Blöße geben. Darum schritt er weiter zügig voran, bis das Wasser endlich tief genug war, um darin schwimmen zu können.

Glücklicherweise spendete der am Himmel thronende Vollmond genug Licht, damit er sich im Wasser einigermaßen orientieren konnte. Dennoch fühlte er sichsehr unbehaglich. Um ihn herum war alles schwarz. Die Algen, die fast den kompletten Boden des Sees bedeckten, griffen wie die Arme einer Untoten-Armee nach seinen Fußgelenken. Mit kräftigen Schwimmzügen näherte er sich zügig seinem Ziel. Er wollte das Ganze so schnell wie möglich hinter sich bringen. Schon bald konnte er die Umrisse der Badeinsel erkennen. Die Person, die sich darauf befand, hatte ihm den Rücken zugedreht.

Von wegen Bruder, dachte Amaru und ärgerte sich über seine eigene Naivität. Wenn das ihr Bruder ist, dann ist der Papst mein Vater.

»Hey!«, rief er ihm zu, als ihn nur noch ein Meter von der Badeinsel trennte.

Der Mann auf der Badeinsel reagierte nicht.

»Hey, bist du taub? Deine Freundin hat mich geschickt, um dich zu retten!« Amarus Verärgerung nahm weiter zu. Zunächst hatte ihn die hübsche Frau unter Vorspiegelung falscher Tatsachen in den eiskalten See getrieben und jetzt reagierte dieser Penner nicht einmal. Er klammerte sich am Rand der Badeinsel fest.

»Jetzt hör mir mal zu, Bruder«, sagte Amaru wütend. »Wenn ich gewusst hätte, dass du in Wirklichkeit ihr Freund bist, wäre ich bestimmt nicht für dich in dieses arschkalte Wasser gestiegen. Du kannst dich also bei deiner Freundin bedanken, dass sie ihre Reize raffiniert genug eingesetzt hat, um mich davon zu überzeugen, dich retten zu wollen. Und jetzt erzähl mir bloß nicht, dass du tatsächlich ihr Bruder bist, sonst drehe ich nämlich gleich wieder um und lass dich hier verrotten.«

Endlich kam Bewegung in den Körper des Mannes. Er schien etwas mit seinen Händen zu sortieren, drehte sich aber immer noch nicht zu ihm um. Amaru glaubte, ein klirrendes Geräusch zu hören.

»Kommst du jetzt, oder soll ich zu deiner Freundin zurückschwimmen und es ihr mal so richtig besorgen?« Amaru schaute sehnsüchtig in Richtung Strand. Er hätte die Kleine wirklich zu gerne flachgelegt.

Plötzlich spürte er, wie der Fremde sein Handgelenk umklammerte. Erschrocken drehte Amaru seinen Kopf zurück.

»Du? Was machst du denn hier?«, fragte er überrascht, nachdem er das Gesicht des vermeintlichen Opfers erkannt hatte. »Du gehst doch regelmäßig tauchen. Da muss man doch auch schwimmen können?«

Doch noch während er versuchte, die Zusammenhänge zu verstehen, legte ihm sein Bekannter einen metallischen Ring um das Handgelenk, der mit einem klickenden Geräusch einrastete.

»Alter, was soll der Scheiß?« Amaru tastete nach der Handschelle und versuchte vergeblich, sie von seinem Handgelenk abzustreifen. Dabei bemerkte er die schwere Metallkette, die an dem Metallring befestigt war und irgendwo in der Schwärze des Wassers verschwand. »Mach mich sofort…«, begann er zu schreien.

Doch noch bevor er seine Forderung komplettaussprechen konnte, spürte er einen kräftigen Ruck an seinem Handgelenk. Seine Finger hatten nicht genügend Kraft, um sich weiterhin an der Badeinsel festzuhalten. Der Sog der Kette war einfach zu stark. Sein Kopf wurde unter Wasser gezogen. Mit kräftigen Arm- und Beinbewegungen versuchte er, wieder an die Oberfläche zurückzukehren. Aber die Kombination aus absoluter Dunkelheit und der Schwerelosigkeit des Wassers, ließ ihn vollkommen die Orientierung verlieren. Panik stieg in ihm auf und lähmte seine Gedanken.

Amaru hielt inne. Er versuchte einen klaren Kopf zu bekommen.

Der Sog der Kette hat nachgelassen. Also muss ich einfach in die entgegengesetzte Richtung  schwimmen.

Mit aller Kraft versuchte er, in die entgegengesetzte Richtung zu schwimmen, aber die Kette hielt ihn wie einen Anker am Boden. Amaru zog und zerrte an der Kette, aber sie gab keine  Zentimeter nach.

Die Kette muss irgendwo am Grund des Sees befestigt sein. Vielleicht kann ich sie lockern, wenn ich ihrem Verlauf folge?

Amaru spürte, wie seine Sauerstoffreserven zur Neige gingen. Mit letzter Kraft zog er sich an der Kette entlang in die Tiefe. Als er den Boden des Sees erreicht hatte, konnte er eine metallische Öse ertasten, die auf einem großen Block befestigt worden war. Die Öse war aberviel zu klein, als das sein Handgelenk – geschweige denn sein ganzer Körper – hindurch gepasst hätte. Er packte mit beiden Händen nach dem Block, der sich wie ein großer, eckiger Stein anfühlte. Amaru stemmte beide Füße in den schlammigen Untergrund des Sees und hob den Block mit letzter Kraft an. SeinAtemreflex war jetzt so stark, dass er ihn kaum mehr unterdrücken konnte. Der Gegenstand war zwar schwer, aber er konnte ihn trotzdem tragen. Er ging in die Hocke und stieß sich mit aller Kraft, die ihm noch zur Verfügung stand, vom Boden ab. Dabei betete er, dass sein Schwung ausreichen würde, um ihn, mit samt dem schweren Gewicht, wieder an die Oberfläche zu befördern.

(Der Text wurde noch nicht vom Verlag lektoriert)

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